Sich in Gottes Hand geben – 1. Samuel 2, 1.2.6-8a
1 Hanna betete und sprach: Es jauchzt mein Herz durch den Herrn.
Mein Horn hoch erhoben durch meinen Gott, weit aufgetan mein
Mund gegen meine Feinde, denn ich freue mich deiner Hilfe! 2
Niemand ist heilig wie der Herr, denn keiner ist außer dir. Es ist
kein Fels gleich unserm Gott!
6 Der Herr tötet und macht lebendig; er stürzt in die Unterwelt und
führt herauf. 7 Der Herr macht arm und reich, erniedrigt und
erhöht auch. 8 Aus dem Staub richtet er den Schwachen empor;
aus dem Dreck erhebt er den Armen, läßt sie beide sitzen neben
den Fürsten und weist ihnen den Ehrenplatz an.
(Übersetzung: Rudolf Kittel, Textbibel, 1899, bearbeitet von A.L.)
In den Wochen vor dem Osterfest gab es in Aurich eine Aktion in
der Lamberti-Kirche: den Koffer packen für die letzte Reise.
Sechzig interessierte Menschen stellten tatsächlich solche Koffer
zusammen mit dem, was sie auf die letzte Reise nach ihrem Tod
mitmehmen würden. Fragt sich nur, ob sie auch eine Vorstellung
davon haben, wo die Reise hinführt.
Allzuviel hätte Jesus vermutlich nicht zu packen gehabt. Denn
bereits mit 34 Jahren war das Leben unweigerlich zu Ende für ihn,
noch dazu gewaltsam. Warum mußte er ausgerechnet qualvoll am
Kreuz sterben – und vor allem schon in so jungen Jahren? Jesus
hatte keinerlei Gelegenheit, über sein künftiges Ende und seine
letzte Reise noch groß nachzudenken. Er wurde als mutmaßlicher
Verbrecher verhaftet, im Handumdrehen zum Tod verurteilt und
umgebracht.
Mancherlei Fragen stellen sich uns Christenmenschen allemal
in diesen Tagen rund um Ostern. Nicht nur die Frage nach
unserem eigenen Tod und der letzten Reise danach. Wo ist Gott,
wenn es um das Leid der Menschen geht – nicht nur das Leid
seines Sohnes am Kreuz? Wieviele gequälte Menschen, wieviele
Sterbenskranke auch bei uns mögen sich das wohl fragen
angesichts ihres Schicksals - und wir mit ihnen? Wo ist Gott, wenn
sich Menschen gegenseitig das Leben zur Hölle machen, nicht nur
im Krieg in der Ukraine und im Gaza-Streifen, vielleicht sogar
mitten unter uns in zerrütteten Ehen und Familien oder unter
gewalttätigen Schülern?
Die Frage stellen heißt sie zugleich beantworten. Und die
Antwort lautet eben: Da schaut Gott wohl gerade weg. Da ist er
auf Urlaub wie viele Menschen jetzt zu Ostern und überläßt die
Menschen sich selbst.
Wenn es uns schlecht geht, wenn wir mit unserem Latein am
Ende sind, wenn das Elend der anderen uns die Luft abdrückt, weil
wir helfen möchten und doch tatenlos zuschauen müssen, dann
fragen wir nach Gott und sind uns doch zugleich einig: Gott kann
mit alledem nichts zu tun haben. Im Gegenteil: Wo er sich jetzt
einmischen müßte, wo seine Allmacht herausgefordert wäre, da
kneift er. Da ist er auf einmal unauffindbar.
Doch die Frage nach Gott, der sich wohl gerade mal eine
Pause gönnt, stellt sich gerade zwischen Karfreitag und Ostern.
Und der Ostermorgen gibt die Antwort darauf, wenn wir sie denn
hören wollen.
Gott ist vor allem für die Höhepunkte unseres Lebens
zuständig. Darauf können wir uns schnell einigen. Gott ist der
Garant eines zufriedenen, glücklichen Lebens. „Dein sind des
Tages helle Stunden“, heißt es in einem alten Liedvers. Da fühlen
wir uns Gott ganz nahe. Da gibt es Grund zum Jubel wie in jenem
Lied der Hanna.
Doch wenn uns das Leben auch Fragen stellt - unbequeme
Fragen vor allem -, wenn wir Orientierung suchen für unser
Leben, dann sieht das alles ganz anders aus. Dann haben wir den
Eindruck, als sei Gott längst schon außen vor. Gerade Jugendliche
haben ein besonderes Gespür dafür. Rat suchen bei Gott und
seiner Kirche? Das war einmal. Auf die Fragen unserer Tage hat
Gott keine Antwort, so lautet das ernüchternde Fazit nicht nur von
Jugendlichen über ihr Verhältnis zu Glaube und Kirche. Auch für
Erwachsene gehört Gott bestenfalls in eine vergangene Welt, in
der alles besser war. In ihr konnte man sich noch sicher und
geborgen fühlen. Aber heute?
Doch dann stoße ich in einem Buch eines Wissenschaftlers
unserer Tage, eines gescheiten, gar nicht mal frommen Mannes,
auf einen erstaunlichen Satz: „Es kommt darauf an, daß hier und
jetzt Gott und Götter sind.“ Das ist es doch; da hat so ein kluger
Kopf recht: Gott ist nur Gott, wenn er mittendrin ist in unserer
Welt, auch jetzt noch, nicht nur in der guten alten Zeit.
Es kommt darauf an, daß Gott eben nicht auf Urlaub ist, wo
Menschen leiden und sich schwer tun in ihrem Leben. Nur allzu
gern möchten wir das glauben, daß Gott lieber wegschaut, wo es
brenzlig wird. Wegschauen, das tun wir selber oft genug. Warum
sollte Gott anders handeln?
Aber Ostern macht uns da einen Strich durch die Rechnung.
Ostern heißt: Gott meldet sich wieder zurück in der Welt. Und
zwar gerade da, wo wir ihn lieber rausdrängen möchten. Wo es
uns besser in den Kram paßt, wenn er sich tatsächlich raushält.
Unser geläufiges Bild von Gott gerät zu Ostern ins Wanken.Denn das ist die Zumutung zu Ostern, und sie steckt auch in
dem Lied der Hanna aus dem 1. Samuelbuch im Alten Testament.
Ostern sind wir herausgefordert, unser gewohntes Bild von Gott
über Bord zu werfen. Das ist gar nicht so leicht. Selbst die
vertrauten Bräuche zum Osterfest wie das Eierverstecken und der
festlich dekorierte Tisch, an dem man mit der Familie
zusammensitzt, stehen mittlerweile in Frage. Die
Schreckensnachricht lautete vor kurzem in der Zeitung: „Gehen
wir auf ein Osterfest ohne Eier zu?“ Die Gottesdienste zu Ostern
sind ohnehin nur noch etwas für Hartgesottene. Selten ist Gott
uns fremder als zu Ostern, so scheint es. Und gibt die Botschaft
von der Auferweckung seines Sohnes Jesus den Zweiflern nicht
recht? Ist das alles wirklich nicht ein bischen zu hoch?
Natürlich sollen wir an das Schicksal von Jesus in den drei
Tagen zwischen Karfreitag und Ostern denken, wenn wir am
Morgen des Ostersonntags die Worte der Hanna hören, der
Mutter des Propheten Samuel. Sie sind zwar Jahrhunderte vor
dem Auftreten von Jesus gedichtet worden, aber passen sie nicht
haargenau auf ihn? „Der Herr tötet und macht lebendig“, so heißt
es da, „er führt hinab zu den Toten und wieder hinauf“. Zumindest
wenn es um Jesus geht zu Ostern, dann lassen wir uns solche
Worte noch gefallen.
Aber schon bald regen sich auch erste Zweifel: Gott der Herr
tötet? Wie soll man das verstehen, wenn man vielleicht gerade
erst einen lieben Angehörigen zu Grabe getragen hat oder wenn
man selber an einer schweren Krankheit leidet? Wie gesagt: Ist es
dann nicht besser, wir flüchten uns in die Ausrede, Gott sei wohl
gerade auf Urlaub und kümmert sich nicht? Denn anderenfalls
müßten wir uns ja eingestehen, daß Gott nicht tut, was wir von
ihm erwarten oder sogar verlangen: dem Unheil Einhalt gebieten.
Auch einer der beiden mit Jesus gekreuzigten Verbrecher hatte
ihn ja noch verhöhnt. Wenn er wirklich Gottes Sohn sei, so hielt er
Jesus vor, dann könne er doch vom Kreuz herabsteigen und
einfach weitermachen wie bisher. Gott wisse doch immer einen
Ausweg.
Doch zu Ostern müssen wir schmerzlich erfahren, daß es auch
anders geht. Anders als wir uns das so gerne zurechtlegen: Auch
hinter Leid und Elend, ja selbst noch hinter dem Tod steht Gott.
Da schluckt man erstmal. Können wir jetzt wirklich noch
einstimmen in den Jubelruf der Hanna und in die österliche
Freude?„Der Herr tötet“, wie Hanna singt, das heißt eben nicht: Von
Gott kommt alles Leid. Ihm haben wir das zu verdanken,
ausgerechnet ihm. Das unterstellen wir ihm gerne und wenden
uns angewidert ab: Was ist das für ein Gott, der uns die Suppe
eingebrockt hat und uns damit sitzen läßt!?
Sondern wer sich diesem Lobgesang anschließen kann, der
hat erfahren: Auch dem Tod geht Gott nicht aus dem Weg. Auch
Leid und Elend sind ihm nicht fremd. Hinter alledem steht
niemand anderes als Gott.
Niemand anderes, das ist der Schlüssel: Wir könnten ja auf die
Idee kommen, wo nur noch Leid und Elend herrschen wie in der
Ukraine, im Sudan oder im gaza-Streifen, da sind Mächte am
Werk, die Gott verhöhnen. Die ihn auf Urlaub schicken, damit sie
ungestört wüten können.
Und das ist ein Irrtum. Sondern auch im Elend, auch im Tod ist
Gott mittendrin. Und zwar so, daß er nichts und niemandem aus
dem Weg geht. Es gibt keine Ecke in dieser Welt, keinen Bereich
des Lebens, an dem er nicht mit dabei ist: mitdenkt, mitfühlt,
mitleidet. Gott begleitet uns eben nicht nur an „des Tages hellen
Stunden“, sondern zu jeder Zeit und auch noch in der allerletzten
Stunde. Und die ist niemals fröhlich.
„Der Herr tötet und macht lebendig“, wie Hanna freudig
jubelt, das können wir nur mitsingen, wenn wir das selber
erfahren haben, daß Gott unser ganzes Leben umgreift, den
Anfang und das Ende. Das sagt sich so leicht. Doch entspricht das
auch unserem Lebensgefühl? Oder haben die Menschen recht, die
zu Ostern sich einfach nur nach ein paar frühlingshaften
Sonnenstrahlen sehnen?
Vielleicht sind es ja wirklich nur ganz wenige Momente im
Leben, wo wir in den Jubel der Hanna einstimmen möchten. „Der
Herr macht arm und macht reich; er erniedrigt und erhöht“, so
singt sie. Im Auf und Ab des Lebens Gott an meiner Seite zu
wissen, das ist ein großartiges Geschenk. Das wünschen wir allen
Kindern, die gerade jetzt zu Ostern getauft werden oder die um
Ostern herum konfirmiert werden. Gott verläßt uns nicht, so wie
er Jesus nicht verlassen hat, selbst noch als er am Kreuz hängend
genau dies Gott zum Vorwurf gemacht hat: „Mein Gott, mein Gott,
warum hast du mich verlassen?“, seufzt Jesus im letzten Atemzug.
Nichts muß uns mehr Angst machen auf der Erde, auch nicht
das namenlose Elend der Menschen in den zahllosen
Krisengebieten dieser Welt, so sehr uns das bewegt. Denn da sind
keine Mächte am Werk, die wir nicht beherrschen und die nichtmal Gott in den Griff bekommt. Auch wenn uns das betrübt und
an Gott zweifeln läßt. „Ich bin gewiß, daß nichts, weder Tod noch
Leben noch eine andere Kreatur uns trennen kann von der Liebe
Gottes, die in Christus ist“, schreibt Paulus den Christen in Rom
und bringt die Osterbotschaft damit auf den Punkt. Sie ist sperrig,
geht aber nichts aus dem Weg.
Denn zu Ostern hat Gott die letzte Macht, die sich ihm noch in
den Weg stellt, vom Sockel gestoßen: den Tod. Damit ist unser
eigener Tod noch längst nicht aus der Welt geschafft. Das meinten
manche Heißsporne schon zu Zeiten des Apostels Paulus. Wie zu
erwarten, haben sie sich darin bitter getäuscht. Wir sind sterblich
wie einst Jesus. Das bleibt keinem erspart.
Doch der Tod kann Gott eben nicht mehr rüde
beiseitedrängen. Der Tod kann Gott eben nicht in aller Ruhe seine
Geschöpfe entreißen. Er kann ihn auch nicht auf Urlaub schicken.
Sondern selbst da, wo er reiche Ernte hält wie auf den
Schlachtfeldern dieser Welt - und wie damals auf Golgatha -,
selbst da ist Gott mit dabei und leidet mit. Und er sorgt dafür, daß
niemand aus seiner Hand fällt, nicht mal im schlimmsten Elend.
Zu Ostern meldet Gott sich zurück in der Welt als der
Lebendige von Ewigkeit zu Ewigkeit. Als der, der das Leben will
und nicht den Tod, wie es schon Hanna im Alten Testament
bejubelt hat. Und er meldet sich zurück in unserem Leben. Hier
und jetzt steht er uns zur Seite, nicht nur in vergangenen Zeiten,
als das Wünschen noch geholfen hat, wie es in Grimms Märchen
heißt und wie wir es nur allzu gern glauben.
Nun kommt es drauf an, was wir daraus machen und wie wir
ihn in Anspruch nehmen. Seit Ostern ist kein Leben zu gering, zu
bedeutungslos, als daß Gott sich nicht seiner annimmt. Niemand
soll das Gefühl haben, Gott schaue gerade weg und habe für ihn
nichts übrig. Im Gegenteil: Zu Ostern legt Gott erst so richtig los.
Seitdem gehört er zu unserem Leben stets dazu, an den
Höhepunkten – aber auch wenn wir ganz unten sind. Das ist die
Botschaft zu diesem Fest im Frühling für uns alle.
Amen