Wer ist Jesus? – Joh 6, 47-51
47 Amen, Amen, ich sage euch: Wer da glaubt, hat ewiges Leben. 48
Das Brot des Lebens bin ich. 49 Eure Väter haben in der Wüste das
Manna gegessen und sind doch gestorben. 50 Dieses ist das Brot,
das aus dem Himmel herabkommt, damit man von ihm ißt und
nicht stirbt. 51 Ich bin das lebende Brot, das aus dem Himmel
herabgekommen ist. Wenn einer von diesem Brot ißt, wird er
leben bis in die Ewigkeit. Das Brot aber, das ich geben werde, ist
mein Fleisch für das Leben der Welt.
(Übersetung: Ludger Schenke, 1998)
Wer ist das eigentlich, dieser Jesus? Was haben wir mit ihm noch
zu tun – aus dem Abstand von zweitausend Jahren? Bedeutet er
uns noch etwas? Bald wird wieder vom letzten Weg von Jesus die
Rede sein, wenn der anfängliche Jubel bei seiner Ankunft in
Jerusalem ganz rasch umschlägt in abgrundtiefen Hass. Das alles
endete schließlich mit dem Tod am Kreuz auf dem Richthügel vor
den Toren der Stadt. Dann fragt sich umso schmerzlicher, wer
Jesus eigentlich war und was er wollte – und vor allem: was er
denn erreicht hat.
Zu begeisterten Menschen hat Jesus geredet, als er in den
Dörfern rund um den See Genezareth unterwegs war. Für sie war
dieser Mann vor ihnen vor allem ein großer Wundertäter.
Manches hatten sie mit ihm erlebt, was nur diesen einen Schluß
zuließ: Dieser Mann kann ganz Außergewöhnliches vollbringen. Er
ist kein gewöhnlicher Mensch.
Nur kurz zuvor hatten im Hochland von Galiläa Menschen zu
Tausenden die Nähe zu Jesus gesucht. Und Jesus hat nicht nur mit
ihnen gesprochen, sondern auch mit ihnen gegessen. Wie sollte
das aber gehen, ganz spontan und ohne große Vorbereitungen?
Jesus nahm ein paar Brote und Fische, hielt sie zum Himmel
empor, sprach ein Dankgebet und teilte vor aller Augen, was er in
Händen hielt. Daraus wurde ein Mahl, das für alle Anwesenden
mehr als ausreichte. Wir alle kennen diese Geschichte. Ein
ungewöhnliches Erlebnis war das für alle, die dabei waren.
Manche sagten: ein Wunder.
Ich wäre auch selbst nur zu gern dabei gewesen. Das hätte
wohl auf einen Schlag die vielerlei Zweifel erledigt, die auch
unseren Glauben manchmal so schwer machen. Die Zweifel
darüber, wer Jesus eigentlich ist; was wir von ihm halten sollen.
Aber ist das so leicht?
Viele Jahrhunderte vor jenem Ereignis am See Genezareth
wurden Menschen schon einmal auf ungewöhnliche Weise
gesättigt. Jesus spielt darauf an mit seinen Worten: „Eure Väter
haben in der Wüste das Manna gegessen und sind doch
gestorben.“ Auch sie haben solch ein Wunder erlebt, noch dazu in
einer aussichtslosen Lage, als sie zu verhungern drohten auf
ihrem Weg durch die Wüste von Ägypten ins Gelobte Land. Für sie
war Mose damals der Wundertäter. Auch er stand wohl mit
göttlichen Mächten im Bunde. Schließlich hatte er ja einen
besonderen Draht zu Gott, und der hat ihm geholfen.
Der leibliche Hunger war auf der Wüstenwanderung längst
zur Qual geworden. Doch im letzten Augenblick war er wieder
gestillt; das genügte den Israeliten damals fürs erste. Niemand
dachte daran, daß Gott auch den Hunger in ihren Seelen stillen
will. Hauptsache, man muß nicht vor Hunger entkräftet in der
Wüste sterben.
An dieses wundersame Erlebnis ihrer Vorfahren erinnert Jesus
seine Zuhörer in der Synagoge von Kapernaum. Für den Moment
war ihnen geholfen damals in der Wüste. Aber so groß war das
Wunder nun auch wieder nicht. Wie alle Menschen vor ihnen und
nach ihnen sind die Israeliten damals natürlich irgendwann
gestorben. So willkommen die wunderbare Speisung auch war -
sie machte das wandernde Volk damals nicht schon zu
unsterblichen Menschen. Dem Tod durch Verhungern waren sie
gerade noch einmal entkommen, nicht mehr und auch nicht
weniger. Doch die beschwerliche Wanderung durch die Wüste war
noch lange nicht vorüber.
Als die Menschen Jesus so reden hörten, hielten sie ihn nur für
einen nützlichen Wundertäter. Bestenfalls würde er ihre nur allzu
menschlichen Sorgen ein- für allemal abschaffen, allen voran die
Sorge um das tägliche Brot. Das wäre ja schon was, wenn Jesus
auch heute noch diese Sorge all der vielen Menschen am Rande
unserer Gesellschaft aus der Welt schaffen könnte: Wie komme
ich über die Runden? Reicht die kleine Rente für den Monat?
Verständlicherweise wünschen wir dann jemanden herbei, der
ohne Umschweife Hunger, am besten auch gleich noch Krankheit,
Not und Tod, beseitigen könnte. Das erspart uns die eigene Sorge
um die Sicherheit und Bezahlbarkeit unserer Sozialssysteme, der
Krankenversorgung und der Pflege vor allem. Auch für die
Zukunft unserer Kinder wäre durch solch einen Retter gesorgt.
Vieles von solcher einfältigen Hoffnung übertragen wir auf die
große Politik. Sollen „die da oben“ sich doch darum kümmern, daß
wirklich keiner Not leidet. Schließlich zahlen wir ja genug Steuern.
Doch Jesus schlüpft nicht einfach in die Rolle des
Wundertäters. Er hält Größeres für uns bereit als die schnelle Hilfe
in aktueller Not. Da sind wir schon selber gefragt, uns um unsere Mitmenschen zu kümmern.
Wir müssen schon selber tun, was jetzt nötig ist.
Was können wir von Jesus erwarten? Was hat er uns denn
wirklich zu bieten? Seinen zahlreichen Zuhörern hatte er das
nötige Brot verschafft, das sie brauchten, um satt zu werden am
Ende eines langen Tages. Lange genug hatten sie ihm zugehört
und darüber alles andere vergessen. Die ganz konkreten Nöte der
Menschen waren Jesus nie fremd. Er hat leidenden und
bedürftigen Menschen geholfen, wo er nur konnte. Kranken und
verarmten Menschen hat Jesus unter die Arme gegriffen und sie
wieder aufgerichtet. Aus dem Dunkel ihres Lebens holte er sie
wieder ans Licht.
Doch nun sagt Jesus: „Das Brot des Lebens bin ich.“ Nun geht
es nicht mehr um das tägliche Brot, das jeder braucht, um satt zu
werden. Jesus verkörpert auch nicht alles andere, was wir ebenso
brauchen wie das tägliche Brot: ein Dach überm Kopf und eine
sichere Arbeitsstelle für den nötigen Broterwerb. Von einem ganz
anderen Brot ist jetzt die Rede. Und dieses Brot ist Jesus selbst.
Er selbst ist die Gabe, die er bringt. Er gibt sich selber für uns
hin. Am Karfreitag war es soweit. Und was er uns damit bringt, ist
ein ganz besonderes Leben. Mit seinem Tod am Kreuz gewinnt er
für uns das Leben schlechthin. Jetzt geht es nicht mehr um das
Überleben angesichts des Hungers, jetzt geht es um mehr. Was
Jesus uns bringt, ist das ewige Leben - für den, der glaubt.
„Wer glaubt, der hat das ewige Leben.“ Wieder so ein kurzer
und ganz einfacher Satz von Jesus. Das Johannesevangelium ist
voll davon. So kurz und knapp solche Sätze auch sind, so schwer
verdaulich sind sie zugleich, für die Menschen damals wie auch
für uns. Was Jesus meint, ist tatsächlich nicht so einfach zu
verstehen. Das bietet viel mehr als die Hilfe in der Not, wie sie die
Väter Israels erfahren hatten damals auf ihrer Wanderung durch
die Wüste.
„Das Brot des Lebens bin ich.“ Die Vorstellung vom
Wundertäter, der gerade wieder einmal zur rechten Zeit
gekommen ist, um die Menschen satt zu machen, weist Jesus
zurück. Sie haben ihn gründlich mißverstanden, wenn sie sich nur
an ihre Väter erinnert fühlen. Die Erfahrung in der Wüste läßt sich
ohnehin nicht wiederholen. Jetzt geht es um ein Leben in
Ewigkeit. Was soll das nun wieder?
Jesus sagt: „Ich bin das lebendige Wort, das vom Himmel
gekommen ist. Wer von diesem Brot ißt, der wird leben in
Ewigkeit.“ Jesus ist keiner der vielen Wundertäter, die damalsunterwegs waren
in Galiläa und die Leute betörten.
Er kommt wirklich von Gott, seinem Vater im Himmel. Das ist schon nicht
gerade leicht zu verstehen. Doch nur darauf kommt es an im
Johannesevangelium: Wer nach Gott fragt, wird ihn nur in Gestalt
seines Sohnes Jesus finden. Auch das ewige Leben, die
unverlierbare Beziehung zu Gott, ist nur bei Jesus zu finden - wenn
wir ihm denn vertrauen.
Wer soll das begreifen? Zu allen Zeiten stellten sich
Christenmenschen darunter etwas vor, was mit der Botschaft von
Jesus wenig zu tun hat. Oft genug steckt dahinter dann bittere
Enttäuschung, wenn manche sagen: Wenn Jesus uns die Mühe um
die tägliche Existenz nicht abnimmt, dann hat er wohl mit
unserem täglichen Leben nichts zu tun. An Jesus glauben, heißt
dann, allzu vertrauensselig in den Himmel zu schauen wie Hans-
guck-in-die-Luft im Kinderbuch von Heinrich Hoffmann. Das
tägliche Leben gerät dabei buchstäblich aus dem Blick. Statt uns
den täglichen Herausforderungen im Diesseits zu stellen und das
Leben zu meistern warten wir lieber auf das Jenseits. So lautet ja
das gängige Vorurteil über unseren christlichen Glauben:
Vertröstung statt echter Trost. Schöne Worte statt Beistand in der
Not.
Wenn es so wäre, dann bedeutet „ewiges Leben“ doch wohl:
Mit diesem Leben hat das alles sowieso nichts zu tun. Doch
gerade für Menschen, die meinen, daß sie bereits über den
Dingen stehen, ist das Johannesevangelium geschrieben. Für
Menschen, die heutzutage dem Beispiel vieler berühmter
Schauspieler und sonstiger Prominenter folgen und mit Ideen aus
dem Buddhismus liebäugeln, und das heißt: das Leben nur als
belanglose Durchgangsstation zum Eintreten ins Nirvana, ins
völlige Nichts, ansehen. Solche Weltflucht mit ein paar flotten
Sprüchen kann man sich wohl leisten, wenn man ansonsten im
Luxus lebt und es an nichts fehlt. Alles nur leeres Gerede.
Was ist das ewige Leben dann? Jesus selbst hat seinen
Jüngern noch erläutert, was er mit dem ewigen Leben eigentlich
meint. Als er mit ihnen das Abendmahl gefeiert hat, kurz bevor er
gefangengenommen wurde, spricht er dabei in seinem
Dankgebet: „Das ist aber das ewige Leben, daß sie dich, der du
allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus,
erkennen.“
Die Gabe, die Jesus bringt, das Leben, das er schenkt, ist die
Erkenntnis Gottes. Das ist eine alte Sehnsucht der Menschen: Gott
erkennen und sich dabei über das eigene Leben gewiß werden –über seinen Ursprung und sein Ziel.
Nicht länger zweifeln am Leben und an der eigenen Suche nach dem kleinen Glück.
Gott selber ist das wahre Leben der Menschen. Wer durch die
Taufe mit Gott verbunden ist, kann aus dieser Beziehung zu ihm
gar nicht mehr herausfallen. Das ist das wahre, das ewige Leben:
eine Geborgenheit ohne Grenzen. Gott ist es, der uns trägt und
der uns mitten in der Zerbrechlichkeit dieser Welt hält und nicht
abstürzen läßt. So mögen uns zwar manche Probleme im Leben
belasten, Krankheiten zumal, und viel zu viele Menschen leiden
tatsächlich noch Hunger wie die Israeliten damals auf ihrem Weg
durch die Wüste, auch mitten unter uns. Aber all das kann uns
nicht von Gott trennen. Nicht einmal der Tod wird uns von Gott
fortreißen können.
Jesus bietet jedem Menschen an, auf Gott allein sein
Vertrauen zu setzen. Gott zu vertrauen meint aber nicht, eine
absolut zuverlässige Versicherung gegen Hunger, Krankheiten
oder Unglücksfälle abzuschließen. Sterben und Tod bleiben
keinem erspart, viel zu oft immer noch durch Kriege oder die
Klimakrise. Wer das weiß und dennoch im Vertrauen auf Gott lebt,
dem verspricht Jesus schon jetzt „ewiges Leben“: sich in der Hand
Gottes geborgen wissen - komme was wolle, im Leben und im
Sterben.
So sind wir alle eingeladen, unser Leben in Gott geborgen
sein zu lassen. Wer zu diesem Vertrauen findet, kann es
annehmen und aushalten, daß das eigene Leben verletzbar,
zerbrechlich und begrenzt ist. Der kann es annehmen, ohne
darüber in Panik zu geraten, ohne zu versuchen, aus Angst um
sich selber und das eigene Glück auf Kosten anderer zu leben.
Deshalb ist das „ewige Leben“ keine Privatveranstaltung, sondern
es stiftet Gemeinschaft unter uns.
Wir müssen nicht mehr nur in Angst um uns selber leben, so
als könnten wir dauernd zu kurz kommen. Wir müssen einander
nicht mehr als Rivalen und Konkurrenten betrachten und uns
gegenseitig das Wasser abgraben. „Ewiges Leben“ kommt allein
von Gott, und es wirkt sich auch zwischen uns Menschen aus - bei
denen, die glauben. Das wünsche ich uns, daß wir Menschen
begegnen, die aus dem Vertrauen zu Gott heraus fähig sind
einander zu achten und zu lieben.
Bei der Einführung der neuen Pastorin in Hage vor einigen
Wochen saß ich anschließend bei der Teetafel zwischen einem
Kollegen zur Linken und einer älteren Dame rechts von mir.
Wirstellten uns einander vor, und schon sprudelte es aus ihr heraus:
„Ich habe schon in meiner Jugend mein Herz Jesus übergeben und
weiß, was ich an ihm habe.“ Dann erzählte sie vom ganzen Auf
und Ab ihres Lebens und vertraute mir bei reichlich Tee und
Kuchen einige persönliche Erlebnisse an. „Es lohnt sich, sein
Leben wirklich Gott anzuvertrauen,“ sagte sie zum Abschluß. Dazu
brauchte ich mitten im Stimmengewirr der vielen Gespräche im
Saal nur zu nicken: So ist es.
Pastor Dr. Andreas Lüder