© H. de Vries

Sonntagsgedanken zu 28.04.2024

Sun, 28 Apr 2024 19:14:51 +0000 von Helmut de Vries

Ewiger Lobpreis – Offb 15, 2-4

2 Und ich sah etwas wie ein gläsernes Meer, von Feuer durchglüht.
Darauf standen die, die dem Tier und seinem Abbild und der Zahl
seines Namens als Sieger entkommen sind. 3 Und sie singen das
Lied Moses, des Sklaven Gottes, und das Lied des Lammes: „Groß
und wunderbar sind deine Werke, Herr Gott, du Allmächtiger!
Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Nationen!
4 Wer sollte dich nicht fürchten, Herr, und deinen Namen
verherrlichen? Denn du allein bist heilig. Ja, alle Nationen werden
kommen und niederfallen vor dir, weil die Taten deiner
Gerechtigkeit offenbar geworden sind.“
(Übersetzung: Jacques Ellul, 1981)

Die besten Geschichten schreibt immer noch das Leben. Wie bei
jener Frau, die nach vielen Jahren ihre beste Schulfreundin
wiedertrifft. Die beiden hatten lange nichts mehr voneinander
gehört. Doch nun haben sie sich verabredet, um alte Zeiten
aufleben zu lassen.
Was verbindet diese Frau noch mit ihrer damaligen Freundin?
Schon vor dem Treffen werden Erinnerungen an die gemeinsame
Schulzeit wach. Irgendwann nach deren Ende hatten die beiden
sich aus den Augen verloren. Manchmal erzählen gemeinsame
Bekannte, wie es der früheren Freundin geht und was aus ihr
geworden ist. Doch auch das läßt nach. Der Kontakt reißt ab. Man
verliert sich unweigerlich aus den Augen. Eine Jugendfreundschaft
geht so zu Ende und mit ihr auch ein Stück der eigenen
Lebensgeschichte. Jede der beiden Frauen hat ihren eigenen Weg
gefunden. Doch ab und zu regt sich noch die Frage: Was ist wohl
aus ihr geworden?
Da ergibt sich auf einmal die Chance, den alten Faden wieder
aufzunehmen. Nach einem Studium arbeitet diese Frau
erfolgreich bei einer großen Zeitung. Sie hat etwas gemacht aus
ihrem Leben. Mitten im beruflichen Erfolg erfährt sie unverhofft
über Dritte davon, wo ihre beste Schulfreundin abgeblieben ist. In
Griechenland lebt sie jetzt – und sie ist Nonne geworden.
Irgendwo in Griechenland leitet sie mittlerweile als Äbtissin ein
Kloster.
Das ist so ungewöhnlich, daß diese Redakteurin darin eine
gute Geschichte für ihre Zeitung wittert. Sie reist nach
Griechenland, um ihre alte Freundin wiederzutreffen. Im Flugzeug
nach Athen steigt die Vorfreude auf das Wiedersehen. Was
erwartet sie dort im Kloster? Auf einmal stellen sich ihr ganz viele
Fragen auch zu ihrem eigenen Lebensweg.
Wie konnte ihre Freundin ihr Leben so auf den Kopf stellen?
Kunstgeschichte hatte sie studiert und war immer gern auf Reisen
gegangen. Und sie hat nach einem Halt im Leben gesucht. In
Griechenland hat sie diesen Halt schließlich gefunden –
ausgerechnet in einem Kloster! Als Jugendliche waren Glaube und
Kirche ihr noch egal.
Auf dem Flug nach Griechenland erinnert sich die Zeitungs-
Redakteurin auch an die gemeinsame Zeit des
Konfirmandenunterrichts. Religion hatte in ihren Familien
ansonsten nie eine Rolle gespielt. Und bei ihr ist das so geblieben:
freundlich-wohlwollende Distanz zur Kirche, das muß genügen.
Angesichts von Skandalen in ihrer Kirche geht sie zum Glauben
auf Abstand. Ihre eigenen Kinder hat sie völlig glaubenslos
erzogen. Sollen sie später doch selber sehen, was sie vom
Christentum halten, und sich dann vielleicht taufen lassen. Ganz
anders ihre Schulfreundin.
Nun sucht die gestandene Frau aus Hamburg dieses Kloster
auf, trifft dort ihre Freundin von einst und darf ein paar Tage als
Gast bleiben. Trotz aller Vorbehalte taucht sie ein in das harte und
entbehrungsreiche Leben der Frauen in einem Kloster der
griechisch-orthodoxen Kirche. In Griechenland gehört so gut wie
jeder dieser Kirche an. Seit Jahren auch die Kunsthistorikerin aus
Deutschland. Sie trägt jetzt einen griechischen Ordensnamen.
Neben dem strengen Leben im Kloster lassen die beiden
Frauen in langen Gesprächen alte Zeiten wiederaufleben. Die
Erfahrung, am Klosterleben teilnehmen zu dürfen, und der
Versuch, den außergewöhnlichen Lebensweg der früheren
Freundin zu verstehen, lassen die Journalistin zunehmend an
ihrem eigenen Leben zweifeln. Was trägt wirklich im Leben: nur
der berufliche Erfolg, das gehobene Einkommen und die Welt des
Konsums? All das, was man sich leisten kann, wenn man hart
arbeitet im Job und sein Leben dann auch genießen will? Nichts
davon findet sich in dem Kloster, das ihrer Freundin zur Heimat
geworden ist.
Am meisten beeindruckt ist die Journalistin von den
Gottesdiensten der Nonnen in ihrer Klosterkirche. Volle zwei
Stunden dauern sie, und in der Kirche stehen keine Bänke. Zwei
Stunden lang stehen die ganz in schwarze Gewänder gehüllten
Ordensfrauen in ihrer Kirche und beten in endlosen Gesängen zu
Gott. Der ganze Gottesdienst der griechisch-orthodoxen Kirche
besteht durchweg aus zahllosen Liedern. Sie preisen fortgesetzt
das Geheimnis und die Majestät Gottes.
Im Gegensatz zu ihrer Freundin spricht die Hamburger
Zeitungs-Redakteurin kein Wort Griechisch. Darum versteht sie
die Lieder nicht. Dennoch spürt sie im Gesang der Ordensfrauen
die innige Liebe zu Gott und das unbedingte Vertrauen zu ihm. Sie
sind dem Himmel schon ein ganzes Stück näher gekommen als
diese protestantische Hamburgerin mit all ihren Zweifeln am
Glauben und an der Kirche.
Auf der Rückreise beschließt sie, über ihre Tage in
Griechenland einen Bericht für ihre Zeitung zu schreiben. Dabei
verschweigt sie auch nicht, daß sie in jenem Kloster intensiv
nachgedacht hat über sich und den christlichen Glauben. Wenig
später erschien ihre Reisebeschreibung in einer großen
Wochenzeitung.
Ausschließlich singend Gottesdienst zu feiern,
selbstvergessen Gott zu loben in immer neuen Liedern – das lernt
man in Griechenland hinter dicken Klostermauern. In dieser
abgeschiedenen Welt findet sich noch die fortwährende Anbetung
Gottes, wie sie die Offenbarung des Johannes aus der frühen
Christenheit beschreibt.
Das Lied der Erlösten, das Lied derer, die diese Welt und ihre
Irrungen und Wirrungen bereits hinter sich gelassen haben – so
würde es auch heute noch klingen. Doch ist all das weit weg von
uns und unserem Leben. Wenn man sich bereits aus der Welt
zurückgezogen hat hinter Klostermauern, wenn man das
alltägliche Leben weitgehend hinter sich gelassen hat und sich
dort ganz auf Gott und den Glauben konzentrieren kann, dann
könnten auch wir so singen wie diese himmlischen Wesen, von
denen die Offenbarung erzählt. Dann fiele es auch uns leicht, Gott
selbstvergessen zu preisen als den Allmächtigen, den Herrscher
des Himmels und der Erde.
Vielleicht singt man nur mit dieser völlig freien Sicht auf das
Leben solche Lobpreislieder. In unserem Alltag ist solche Freiheit
nicht zu finden. Dafür lasten uns noch viel zu viele Sorgen auf der
Seele.
Das Gefühl, solche innere Freiheit im betriebsamen Alltag zu
vermissen, nimmt die Journalistin von ihrem Besuch bei der
Freundin im Kloster mit heim. Noch stehen wir mittendrin in
diesem Leben und sind verantwortlich für unsere Familien, für
unsere Arbeit und für alles, was wir uns noch vorgenommen
haben in Schule und Beruf. Und doch führen uns diese Worte aus
der Offenbarung des Johannes bereits vor Augen, was auch uns
verheißen ist: Freiheit.
Sind wir darum schon in der Lage, solche Jubelgesänge
anzustimmen wie jene Erlösten vor dem Thron Gottes? Ist uns
überhaupt zum Singen zumute angesichts von Kriegen und
Krisen? Mit Musik geht alles besser, lautet eine alte
Schlagerweisheit. Doch das Loblied des Mose, das zugleich auch
das Loblied Christi ist, wirkt merkwürdig blaß. Das wirkliche Leben
bleibt darin außen vor.
Und dennoch empfinde ich diesen Lobpreis der Erlösten im
Angesicht Gottes alles andere als weltfremd. Denn Gott einfach
nur zu preisen als den allein Heiligen, das ist ja auch eine
Kampfansage an alles, was sonst noch beansprucht, heilig zu sein,
und uns in Beschlag nimmt; was unser Leben bestimmt und dabei
zu einem Ersatzgott wird. Um das zu durchschauen, muß man
nicht erst in den Himmel aufgestiegen sein. Dazu braucht es auch
keine hohen Klostermauern, hinter denen man sich die Welt und
allen Ärger fernhalten kann.
Wie diese Worte aus der Offenbarung am Ende der ganzen
Bibel ruft uns jedes Lied zur Ehre Gottes in unseren
Gottesdiensten heraus aus all den kleinen und großen Zwängen,
in denen wir nun mal leben. Auch ganz ohne politischen
Anspruch, sogar ohne Herz-Schmerz wie in Schlagern oder
Popsongs, rücken solche Lieder die Maßstäbe zurecht – und sei es
nur einmal in der Woche am Sonntagmorgen. Solche scheinbar so
abgehobenen Gesänge wie der Lobpreis Gottes in der
Offenbarung des Johannes wirken durchaus hinein in die Welt.
Mit jedem unserer Gesänge im Gottesdienst tauchen wir ein
in diesen ewigen Lobgesang der himmlischen Heerscharen. Jedes
unserer Lieder hat Anteil an diesem ungetrübten Lobpreis Gottes
– mag er uns einstweilen auch noch schwer fallen angesichts all
dessen, was uns Sorgen bereitet und das Herz schwer macht wie
der Verlust eines geliebten Menschen zum Beispiel.
Wo könnte man das leichter erfahren als in einer griechischen
Klosterkirche, wo die Mauern und auch die Decke über und über
mit Heiligenbildern bemalt sind? So bekommt man vor Augen
geführt, daß der Himmel mit der Schar der Erlösten, der
himmlischen Heerscharen, die auf ewig Gott loben, uns bereits
hier auf Erden umgibt. Und schon fällt uns das Singen zur Ehre
Gottes leichter. Jeder auch noch so bescheidene Gemeindegesang
ist Teil des immerwährenden Lobpreises dessen, der allein heilig
ist und wahrhaft gerecht. Auch in wenig prunkvollen und
bilderarmen evangelischen Kirchen.
In katholischen Kirchen sind im Barockzeitalter vor
dreihundert Jahren zumindest die Decken mit lauter am Himmel
schwebenden Heiligen und Engeln bemalt worden. So öffnet der
Blick nach oben das Auge der Gläubigen und damit den
Gottesdienst zur himmlischen Welt Gottes hin.
Denn unser Gottesdienst mit Gebet und Gesang ist ein Abbild
des ewigen Gottesdienstes, den die Erlösten vor dem Angesicht
Gottes feiern und zu dem uns die Offenbarung des Johannes
bereits jetzt aufschauen läßt. So reicht das ewige Leben, das Jesus
uns erschlossen hat mit seiner Auferstehung am Ostermorgen,
spürbar, sinnlich erfahrbar in unser irdisches Leben hinein, mit
jedem unserer Lieder. Das aber trägt auch uns im Alltag, wenn
spätestens am Montagmorgen wieder die Pflichten rufen – und
wir uns ein Stück freier ihnen stellen können. Nicht nur die
Nonnen in griechischen Klöstern.
So war es dann in einem Reisebericht aus Griechenland in der
Zeitung zu lesen, mit den Worten einer nachdenklich gewordenen
Redakteurin.
Pastor Dr. Andreas Lüder
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